Theragāthā - Zwanziger-Bruchstück

Adhimutto (II)

DER RÄUBERHAUPTMANN:
(zu Adhimutto, der ihm vorgeführt wird)

705
UM Geldgewinn, als Opferwerk
Erschlugen oft wir Mensch und Tier:
Da war des Grauens baß genug
Bei Todesangst und Wehgeschrei!

706
Du bist nicht bange, fühlst nicht Furcht,
Dein Antlitz klärt sich klarer nur:
Was klagst du nicht und jammerst nicht
In solcher Not, in solcher Pein?
 

Adhimtto:

707
Wer ohne Wunsch entwesen geht,
O Häuptling, kennt kein Herzeleid:
Gebannt ist Furcht, gebannt ist Angst,
Denn alle Bande sind zersprengt.
 
708
Ist gar gegoren Lebensaft,
Und sind die Dinge recht erkannt:
Dann gilt es keinen Todeskampf,
Erlösung nur von schwerer Last.
 
709
Gewandelt bin ich wohl den Pfad,
Hab' ausgewirkt die Heiligkeit:
Ich scheue nun den Tod nicht mehr,
Gleichwie der Sieche Heilung merkt.
 
710
Gewandelt bin ich wohl den Pfad,
Hab' ausgewirkt die Heiligkeit:
Das Leben ist nicht lebenswert,
Ein Labetrank mit Gift gewürzt.
 
711
Der Überwinder, ohne Hang,
Gewirkten Werkes, wahnversiegt,
Blickt selig auf sein Ende hin,
Errettet aus des Henkers Reich.
 
712
Wer höchste Art erobert hat,
Wer nichts begehrt in aller Welt:
Gleichwie befreit aus Flammenbn
Begrüßt er freudig seinen Tod.

713
"Was immer auch entstanden sei,
Wo Dasein aufgeht, Dasein lebt
Ist alles hohl und herrenlos":
Der Meisterseher hat's gesagt.

714
Wer also diese Wahrheit faßt
Wie sie der Wache kundgetan,
Der langt nach Dasein nimmer aus
Gleichwie nach glitzer Eisenglut.
 
715
Wohl weiß ich, daß mir nichts gehört
Nicht heute, gestern, morgen nicht:
Was unterschieden wird vergeht;
Was gäb' es zu bejammern da?
 
716
Wer klar die Dinge deuten kann,
Wer klar die Unterschiede kennt,
Wer den Zusammenhang erschaut:
Der hat, o Häuptling, keine Furcht.
 
717
Wer recht die Welt als Reisig sieht,
Als welken Kehricht, welken Mist,
Erkennt, weil er kein Eigen trifft,
Getrost, daß nichts ihm angehört.
 
718
Ich bin des Leibes übersatt,
Verlange mir das Dasein nicht:
Der Körper da wird kollern hin,
Kein andrer wieder auferstehn.
 
719
Den Leib da lass' ich ledig euch:
So nehmt ihn nur, tut was ihr wollt;
Ich werde hierum weder Haß
Noch Liebe hegen eurer Art.

720
Sein Wort, sie hatten's wohl gehört,
Entsetzen kam sie, Zittern an:
Da warfen sie die Schwerter ab
Und sprachen zu ihm, fragten ihn:
 
721
Wie hast du, Herr, es angestellt,
Wer ist dein Meister, sag' es uns,
In welchem Orden, welcher Zucht
Gewinnt man was so selig läßt?
 

Adhimtto:

722
Der alles weiß, der alles sieht,
Der Sieger hat mich aufgeklärt,
Der mitleidreiche Meisterherr,
Der weise Arzt der ganzen Welt.
 
723
Von Ihm hab' ich das wahre Wort,
Das bis zum Ende reichlich reicht,
In seinem Orden, seiner Zucht
Gewinnt man was so selig läßt.
 
724
Da traf des Heilgen rechte Rede das Gernüt
Der Mörder, nimmer mochten sie die Messer sehn:
Verfluchend ihr Gewerbe floh'n die einen,
Die andern flehten um des Ordens Weihe.
 
725
Und aufgenommen in des Echten Ordenszucht
Gewannen witzig sie des Wachen Wissenschaft:
Erweckt vom Wahne, neu genesen, rein gereift
Befuhren sie den Pfad ins ungewordne Reich.
 

Pārāpriyo (II)

726
Pārāpariyo, der ernste Mönch,
Asket in kühner Meisterkunst,
Sann also einst an stillem Ort,
Vertieft in Schauung, weltentrückt:
 
727
Was taugt als Regel, recht gereiht,
Was ziemt als Zucht, gebührt als Zweck
Dem Manne, daß er tüchtig sei
Und nichts verletze, treu sich selbst?
 
728
Den Menschen fährt der Sinne Kraft
Zum Guten oder Bösen hin:
Zum Bösen fährt sie ungelenkt,
Zum Guten lenkt der Lenker sie.
 
729
Zu lenken seiner Sinne Kraft,
Als Herrscher hüten sie steht an
Dem Manne, daß er tüchtig sei -
Und nichts verletze, treu sich selbst.
 
730
Wer da sein Auge schweifen läßt
An Formgebilden hin und her
Und Ekel nicht und Elend merkt,
Der wird von Leiden nicht erlöst.
 
731
Wer da sein Ohr als Lauscher labt
Und schwelgen läßt in Lustgetön
Und Ekel nicht und Elend merkt,
Der wird von Leiden nicht erlöst.

732
Wer Düften huldigt, Düfte sucht
Und nicht die freie Höhe sieht,
Der löst sich nicht von Leiden ab,
In Düfte lässig eingelullt.
 
733
Wer sauern Saft, wer süßen Saft,
Wer bittern Saft als Labe liebt:
Verstört von schmerer Schmeckbegier
Verstockt er sich das helle Herz.
 
734
Wer reizbegabte Tastung dann,
Erwünschte Wollust, geil begehrt,
Gelüstig lüstern aufgelegt,
Erleidet mannigfaches Leid.
 
735
Wer nun bei diesen Dingen da
Sein Denken nicht beherrschen kann,
Dem hängt sich Leiden an als Last
Bei jedem Dinge, das er denkt.
 
736
Der starre, stumpfe Leichenklotz,
Mit faulem Eiter angefüllt,
Wird prächtig prangend hergeführt,
Lackiertem Kotgefäße gleich.
 
737
Der bittre Kelch vergibt sich süß,
Der Schmerz verlarvt sich gern in Lust:
Wie Honigseim die Schneide schminkt
Wird schnöde Maske nicht gemerkt.
 
738
Wer Weiber gern sieht, Weiber küßt,
Wer Weiber tastet, Weiber fühlt,
Von Weiberdüften bald berauscht,
Erleidet mannigfaches Leid.

739
Die Weiber rieseln überall
Durch unsre Sinne reißend hin;
Wer dieses Rieseln stauen kann,
Der standhaft starke reine Herr,

740
Der ist gewitzigt, kennt die Kunst,
Der ist geschickt und aufgeklärt:
Vollenden soll der heitre Held
Ein Werk der Wahrheit, klug bedacht.
 
741
Wo nieder man zum Weibe sinkt,
Unselig nenn' ich solches Werk!
Das kann als Werk nicht gelten mir,
Der wache Weise wirkt es nicht.
 
742
Doch wo man auf zum Heile steigt,
Doch wo der Wahrheit Wonne strahlt:
Da streb' ich weiter unverzagt,
In höchster Wonne Seligkeit.
 
743
Mit was für Mitteln, was für Mühsal
Vernichtet man so gern den Nächsten!
Und hat man ihn gestreckt, gefällt, geknechtet,
So rafft der Nächste wieder als der Räuber.

744
Gleichwie der Schreiner Keil um Keil
Mit starkem Schlage schlägt heraus,
So schlägt der Weise Sinn um Sinn
Heraus aus seinem Herzen sich.
 
745
Vertrauen, Kraft und Innigkeit
Und Einsicht, reiche Wissenschaft:
Eins um das andre treibt er durch,
Und schreitet schuldlos hin als Herr.
 
746
Wer wirklich und wahrhaftig taugt,
Vollendet ist in echter Art,
In Meisterzüchten rein gereift:
Er hat gewonnen was er will.
 

Telakāni

747
ALS BüBer büßt' ich lange Zeit,
Um Wahrheit warb ich, suchte sie;
Doch Geistesfrieden fand ich nicht,
So viel ich Priester auch befragt:
 
748
"Wer ist entronnen aus der Welt,
Wer steht am ewigen Ufer still?
Wem soll ich folgen, Jünger sein,
Da jeder höchstes Heil verheißt?"

 
749
Mein Herz hing sich an Angeln an
Gleichwie der Fisch den Köder faßt,
Gefesselt lag ich wie der Feind,
Den Sakko einst in Bande schlug.
 
750
Die Fessel fühlt' ich, zog daran,
Doch löst' ich jammernd sie nicht auf:
"O wer befreit mich in der Welt
Und weist Erweckung, zeigt das Ziel

751
"Wo ist ein Priester, ein Asket,
Der da Vergänglichkeit erkennt?
Wer lehrt mir Lehre, die mich löst
Von Alter los und Sterbestand?" * 752
Voll Zweifelsucht und Zwittersinn,
Vereinigt rauh in roher Kraft,
Im Zorne tüchtig und im Zank,
Im Fluche furchtbar, wutentflammt,
 
753
Ein Spott und Spiel der Lebenslust
Durch siebzehn Jahre jämmerlich:
Sieh' doch den eingebornen Wahn,
Gar üppig kann er bersten aus!
 
754
Des eiteln Wissens Übermut
Macht scharf das Denken, scharf das Wort:
Getroffen zagt' ich zitterhaft,
Dem Blatte gleich im Wirbelwind.
 
755
Wenn Sehnsucht mir im Busen schwoll,
So fühlt' ich wachsen sie geschwind:
Wo sechs den Leib als Sinne leihn
Regt sich Erinnern immer neu.
 
756
Den Künstler hab' ich nicht gekannt,
Der aus den Stachel konnte ziehn,
Der ohne scharfes Messerzeug
Den Zweifel mochte lösen mir.
 
757
Wer kann wohl ohne Messerschnitt
Und ohne Marter, ohne Pein
Den Stachel, der verborgen sticht,
Mir heil entbresten aus der Brust?
 
758
Doch Einer ist der Wahrheit Herr,
Erretter aus der Gifte Not!
Er wird mir reichen in den Pfuhl
Vom Pfeilerrande seine Hand.
 
759
In ekeln Sumpf bin ich versenkt,
Wohin man Schutt und Moder schickt;
Und Glitzerbrodem, Glitzerbrunst
Und schwüler Glast schwillt oben auf.
 
760
Der Stolz ist wilder Wettersturm,
Der Dünkel düstrer Wolkendunst;
Das Spülicht sprudelt Wahnwitz aus,
Die Sudelgier der Sinnlichkeit.
 
761
Die Fluten fließen überall,
Aufschießend steht das Unkraut da:
Die Schleusen, wer kann schließen die,
Das Wuchern, wer entwurzelt es?
 
762
'Ein Damm, o Bruder, sei gedämmt,
Im Flutgepralle Wall und Wehr,
Auf daß dich nicht der Unterstrom
Vom Strande reiße wie den Baum.'
 
763
Da faßte mich Entsetzen an,
Zum andern Ufer wollt' ich hin:
Und rettend mit der Reinen Schar,
Mit weisen Waffen wohl versehn,
 
764
Erschien der Meister, schaffte Rat,
Erschuf den Stapel, festgefügt,
Und nahm mich auf in meiner Not
Und sagte sanft: "Sei unbesorgt!"
 
765
Von Pfeiler stieg zu Pfeiler ich
Zur Warte hoher Einsicht auf
Und übersah nun meinen Wahn,
Den Wahn der Welt: die Eigensucht.
 
766
Und als ich sah der Woge Weg,
Das Schifferblickte, reiserecht,
Das keine Selbstsucht bergen darf,
Erfand ich beste Überfuhr.
 
767
Der Dorn wächst innen, tief im
Von Daseinsadern angeschwellt:
Um die zu darren endlich aus
Das beste Mittel zeigt' Er uns.
 
768
Was lange Jahre, lange Zeit
Als Dickicht mir im Busen wuchs,
Der wache Herr, er hat's zerwirkt,
Der Retter aus der Gifte Not.
 

Ratthpālo

769
SCHAU' wie der Balg ist aufgeputzt,
Der ganz aus Wunden doch besteht,
Der siech ist, voll von Willensdrang,
Der dauerlos erstirbt, verstiebt.
 
770
Schau' wie der Leib ist aufgeputzt,
Rubinbehangen, goldgeschmückt,
Das hautverbrämte Beingerüst,
Im Glanze seiner Kleiderpracht !
 
771
Das rotbelackte Füßlein da,
Der Lippe Purpur, Lippe Duft:
Verblendet blinzelt schon der Tor,
Doch keiner, der die Küste sucht.
 
772
Das achtgeteilte Haargezöpf,
Die schwanken Wimpern, schwarz gefärbt:
Verblendet blinzelt schon der Tor,
Doch keiner, der die Küste sucht.
 
773
Gleichwie man Wände neu bemalt
Betünchen sie den faulen Leib:
Verblendet blinzelt schon der Tor,
Doch keiner, der die Küste sucht.
 
774
Die Schlinge warf ein Wildrer aus,
Das Wild verbarg sich, floh den Bast,
Genoß das Futter, fing sich nicht
Und ließ den Wildrer lauern nur.
 
775
Verloren war des Wildrers List,
Das Wild verbarg sich, floh den Bast,
Genoß das Futter, fing sich nicht
Und ließ den Jäger jammern nur.
 
776
Ich sehe Menschen mächtig sein, gewaltig,
Und reich und törig keine Gabe geben:
Begierig häufen an sie Gut an Güter
Und haschen lüstern nach erneuten Lüsten.
 
777
Und hätt' ersiegt ein König sich die Erde
Und herrscht' er weithin, bis zum Meere herrlich:
Des Meeres Grenze grämt' ihn ungesättigt,
Nach neuen Siegen sehnt' er sich hinüber.
 
778
Der König und gar viele gehn entgegen
Mit ungestilltem Durste düsterm Tode,
Vergeblich abgenutzt stirbt nur der Leib hin
Denn keiner in der Welt wird satt an Süchten.
 
779
Verwandte weinen, raufen sich die Locken
Und rufen "Wehe, weh' uns, daß wir leben!"
In weißes Linnen wickeln sie den Leichnam
Und schichten Scheite, schüren an die Lohe.
 
780
Nun röstet er am Roste, rauh gerüttelt,
Ein einzig Tüchlein deckt ihn, das ist alles:
Der Abgelebte findet keine Zuflucht,
Geliebte, Freunde nicht und nicht Genossen.
 
781
Die Erben reißen sich um seinen Reichtum
Sein Wesen aber wandelt nach den Werken
Am Hingeschiednen haftet keine Habe,
Nicht Weib und Kind, nicht Geld und Gut und Lande.

782
Um Geld erkauft sich keiner langes Leben,
Und Schätze schützen elend vor dem Alter:
"Gar kurz ist", künden Denker, "unser Dasein,
Und unbeständig, unstet, ohne Dauer."
 
783
An Reiche rührt, an Arme rührt Berührung,
Und wie der Tor, berührt wird auch der Weise:
Doch Toren reißt Berührung rasend nieder,
An Weise rührend kann sie nimmer regen.
 
784
So gilt wohl mehr als Geld und Güter Weisheit,
Da sie Vollendung selig uns entbietet:
Unselig stehn ja Wirre starr gebunden
An Sein und Wiedersein und wirken Böses.
 
785
Man keimt in Schoßen, keimt in andern Welten
Und kehrt im Wandelkreise hin und wieder,
Ergibt sich gern dem Wahne der Gewohnheit:
Und keimt in Schoßen, keimt in andern Welten.
 
786
Gleichwie der Räuber, den die Falle festhält,
Durch eigne Tat sich richtet, der Verruchte,
So wird in andern Welten der Verwesne
Durch eigne Tat gerichtet, der Verruchte.
 
787
Wie launisch locken uns Begierden gaukelnd hin,
Das Herz zerhämmernd, heftig, ungeheuer!
Erkannt hab' ich den Kummer der Begehrung,
Bin darum Büßer nun, o König, Bettler.
 
788
Der Mensch fällt, wie die Frucht vom Baume fällt herab,
Noch unreif, oder reif, in raschem Sturze;
So bin ich denn, o König, gern ein Bettler:
Gewisse Pilgerschaft, sie dünkt mich besser.
  * 789
Aus Zutraun zog ich fort von Haus
Zum Sieger hin, in seine Zucht:
Mein Wanderziel ist offenbar,
Entsündigt nehm' ich Nahrung ein.
 
790
"Begierde brennt wie Feuerbrand,
Wie Messerschneide schneidet Gold;
Im Schoße brütet wehe Brut,
In Höllenwelten Höllenangst":

791
Da also ich das Elend sah
Ergriff ein tiefer Schauder mich:
Erschüttert ward ich durch und durch,
Der Wahn erlosch, ich war erlöst.
 
792
Gedient hab' ich dem Meisterherrn,
Gewirkt hab' ich des Wachen Werk:
Die schwere Last ist abgelegt,
Die Daseinsader ausgedarrt.
 
793
Warum ich aus dem Hause fort
Als Bettler hingezogen bin:
Ergründet hab' ich ihn, den Grund,
Denn alle Bande sind zersprengt.
 

Mālunkyaputto (II)

794
WER Formen sieht wird sinnberückt
Sobald er Reize reizen läßt:
Erregt im Busen, ruhelos,
Verliert er sich in derbe Lust.
 
795
Gefühle fühlt er schwelen schwül
Und zehrend züngeln, formerzeugt;
Verlangen lauert, Wahn verwirrt,
In bangem Pochen bebt sein Herz:
So nährt er Leiden, fördert Weh,
Er findet Wahnerlöschung nie.
 
796
Wer Töne hört wird sinnberückt
Sobald er Reize reizen läßt:
Erregt im Busen, ruhelos,
Verliert er sich in derbe Lust.

797
Gefühle fühlt er schwelen schwül
Und zehrend züngeln, tonerzeugt;
Verlangen lauert, Wahn verwirrt,
In bangem Pochen bebt sein Herz:
So nährt er Leiden, fördert Weh,
Erfindet Wahnerlöschung nie.
 
798
Wer Düfte riecht wird sinnberückt
Sobald er Reize reizen läßt:
Erregt im Busen, ruhelos,
Verliert er sich in derbe Lust.
 
799
Gefühle fühlt er schwelen schwül
Und zehrend züngeln, dufterzeugt;
Verlangen lauert, Wahn verwirrt,
In bangem Pochen bebt sein Herz:
So nährt er Leiden, fördert Weh,
Erfindet Wahnerlöschung nie.
 
800
Wer Säfte schmeckt wird sinnberückt
Sobald er Reize reizen läßt:
Erregt im Busen, ruhelos,
Verliert er sich in derbe Lust.
 
801
Gefühle fühlt er schwelen schwül
Und zehrend züngeln, safterzeugt;
Verlangen lauert, Wahn verwirrt,
In bangem Pochen bebt sein Herz:
So nährt er Leiden, fördert Weh,
Erfindet Wahnerlöschung nie.
 
802
Wer Tastung tippt wird sinnberückt
Sobald er Reize reizen läßt:
Erregt im Busen, ruhelos,
Verliert er sich in derbe Lust.

803
Gefühle fühlt er schwelen schwül
Und zehrend züngeln, tasterzeugt:
Verlangen lauert, Wahn verwirrt,
In bangem Pochen bebt sein Herz:
So nährt er Leiden, fördert Weh,
Erfindet Wahnerlöschung nie.
 
804
Wer Dinge denkt wird sinnberückt
Sobald er Reize reizen läßt:
Erregt im Busen, ruhelos,
Verliert er sich in derbe Lust.
 
805
Gefühle fühlt er schwelen schwül
Und zehrend züngeln, denkerzeugt;
Verlangen lauert, Wahn verwirrt,
In bangem Pochen bebt sein Herz:
So nährt er Leiden, fördert Weh,
Erfindet Wahnerlöschung nie.
 
806
Doch keiner haftet Formen an,
Der fein die Formen hat gesehn;
Gefühle fühlt er unerfaßt,
Gelüsten ewig abgewandt:
 
807
So daß der Formen Vielgewalt,
So daß der Fühlung volle Macht
Sich mindern muß, nicht mehren kann;
So geht er gut, gelassen hin,
So leitet ab er Leid und Weh,
Der Wahnerlöschung selig nah.

808
Doch keiner haftet Tönen an,
Der fein die Töne hat gehört;
Gefühle fühlt er unerfaßt,
Gelüsten ewig abgewandt:
 
809
So daß der Töne Vielgewalt,
So daß der Fühlung volle Macht
Sich mindern muß, nicht mehren kann;
So geht er gut, gelassen hin,
So leitet ab er Leid und Weh,
Der Wahnerlöschung selig nah.
 
810
Doch keiner haftet Düften an,
Der fein die Düfte hat gemerkt;
Gefühle fühlt er unerfaßt,
Gelüsten ewig abgewandt:
 
811
So daß der Düfte Vielgewalt,
So daß der Fühlung volle Macht
Sich mindern muß, nicht mehren kann:
So geht er gut, gelassen hin,
So leitet ab er Leid und Weh,
Der Wahnerlöschung selig nah.
 
812
Doch keiner haftet Säften an,
Der fein die Säfte hat geschmeckt;
Gefühle fühlt er unerfaßt,
Gelüsten ewig abgewandt:
 
813
So daß der Säfte Vielgewalt,
So daß der Fühlung volle Macht
Sich mindern muß, nicht mehren kann;
So geht er gut, gelassen hin,
So leitet ab er Leid und Weh,
Der Wahnerlöschung selig nah.
 
814
Doch tastend haftet keiner an,
Der fein die Tastung hat getippt;
Gefühle fühlt er unerfaßt,
Gelüsten ewig abgewandt:
 
815
So daß der Tastung Vielgewalt,
So daß der Fühlung volle Macht
Sich mindern muß, nicht mehren kann;
So geht er gut, gelassen hin,
So leitet ab er Leid und Weh,
Der Wahnerlöschung selig nah.
 
816
Doch keiner haftet Dingen an,
Der fein die Dinge hat gedacht;
Gefühle fühlt er unerfaßt,
Gelüsten ewig abgewandt
 
817
So daß der Dinge Vielgewalt,
So daß der Fühlung volle Macht
Sich mindern muß, nicht mehren kann;
So geht er gut, gelassen hin,
So leitet ab er Leid und Weh,
Der Wahnerlöschung selig nah.
 

Der Herr und Selo

818
VOLLKOMMEN ist dein Körper, Herr,
Ist wohlgestaltet, stattlich, schön,
Dein Angesicht, so heiter, hell,
Der Zaun der Zähne weiß gewölbt.
 
819
Des Wohlgebornen Eigenart,
Die Unterschiede adelsam,
Ich seh' sie alle offenbar,
Die Zeichen deiner Größe, Herr!
 
820
Mit milder Miene, sanftem Blick,
Erhaben, herrlich anzuschaun,
Erstrahlst du in der Jünger Schar,
Gleichwie die Sonne hoch und hehr.
 
821
Ein rechtgekörnter, guter Mönch,
Der glänzt wie Gold und anders nicht:
Was taugt nun dir Asketentum,
Der du im höchsten Glanze gehst?
 
822
Zum König bist erkoren du,
Zum Kaiser aller Königsmacht,
Zum Sieger bis zur Mark der See,
Zum Herrscher über Hinduland!
 
823
Die Königstämme, kühn und stolz,
Sie werden dienen, dir zu Dank:
Als Königskaiser, Menschengott
Regier' das Reich, o Gotamo!
 
DER HERR:
824
Ich bin ein König, Selo, ja,
Ein wahrer König aller Welt:
Die Wahrheit ist mein Königreich.
Ein Reich, das keiner rauben kann.
 
SELO:
825
So wärest, Herr, der Wache du,
Der wahre König aller Welt?
"Die Wahrheit ist mein Königreich":
Du hast gesagt es, Gotamo.
 
826
Wo ist er, der die Mannen führt
Der Jünger, der dem Meister folgt?
Wer hilft gerecht es lenken dir,
Das Reich, das du gegründet hast?
 
DER HERR:
827
Was da gegründet ward von mir,
Das Reich, das wahre, höchste Reich,
Nach lenkt es Sāriputto mir,
Der erstgeborne Siegersohn.
 
828
Erkannt hab' ich was kennbar ist,
Vollendet was Vollendung will,
Verlassen was zu lassen ist,
Bin also, Priester, auferwacht.
 
829
An mir nicht magst du zweifeln mehr,
Bezwinge, Priester, deinen Stolz:
Gar selten sieht man, findet man
Ein auferwachtes Angesicht.
 
830
Ja, was man hier gar selten sieht,
Nicht oft erscheinen in der Welt:
Ein Auferwachter, der bin ich,
Der beste Künstler, beste Arzt.
 
831
Ich bin das Heil, ich bin der Herr,
Zerstörer aller Sterblichkeit:
Die Feindschaft hab' ich ausgesöhnt
Und lächle heiter, fürchte nichts.
 
SELO:
832
O hört, ihr Freunde, hört es froh
Was uns der Seher offenbart,
Der rechte Arzt, der höchste Held:
O lauschet seinem Löwenruf!
 
834
Den heilgewordnen, hehren Herrn,
Zerstörer aller Sterblichkeit:
Wer ist nicht selig ihn zu sehn,
Und wär' er gleich ein Sklave nur!
 
834
Wer bei mir sein will folge mir,
Und wer es nicht will gehe hin:
Denn ich zieh' nun als Jünger fort,
Zum Lehrer, der das Beste lehrt.
 
DIE JÜNGER SELOS
835
Wenn unser Meister also wählt,
Des Auferwachten Kunst erkiest,
So gehn auch wir als Jünger gern
Zum Lehrer, der das Beste lehrt.
 
836
Da flehten die Brāhmanen nun,
Dreihundert Häupter blickten auf:
"O lass' uns leben, Herr, bei dir
Das Leben deiner Heiligkeit!"

DER HERR:
837
Wohl offenbar ist unser Heil,
Ersichtlich, ohne Zeitgesetz,
Wo keiner hier umsonst entsagt
In ernstem Eifer, zäher Zucht.
 
(Eine Woche später)
 
SELO:
838
Die Zuflucht, Herr, erwählt von uns,
Erfleht am letzten Mondestag:
Verwirklicht ist sie heute schon,
Am achten Tag der Jüngerschaft!
 
839
Du bist der Wache, bist der Herr,
Hast überwunden Todesweh,
Hast überwältigt Wunschgewalt:
Errettet rettest andre du.
 
840
Du haftest nimmer irgend an,
Zerborsten ist was Wähnen war,
Alleinig, wie der Löwe lebt,
Bist ledig aller Bangigkeit.
 
841
Dreihundert Jünger beugen sich
Und blicken auf, zu dir empor:
Die Füße biet' uns, Großer, dar,
Den Meister grüßen Helden hier.
 

Bhaddiyo / Der Sohn der Kāligodhā

842
AM Elefanten saß ich einst,
Auf seidnem Teppich, seidnem Tuch,
Und nahm das Mahl ein, wohlbedient,
Den reinen Reis, der Kraft verleiht.
 
843
Und heute lebt er hochbeglückt:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
844
Die Fetzenkutte trägt er gern:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
845
Er läßt nicht laden sich zu Gast:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
846
Drei Kleidungstücke trägt er stets:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
847
Von Haus zu Hause tritt er hin:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
848
Die Nahrung nimmt er einsam ein:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
849
Ein Bissen Speise gnügt ihm schon:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
850
Gebrösel, Abhub ist ihm recht:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
851
Im Walde weilt er wohlgemut:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.

852
Ein Baum gewährt ihm Schirm und Schutz:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
853
In offnen Ebnen lebt er licht:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
854
Im Leichenhofe lagert er:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
855
Er fügt sich bald in jeden Ort:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
856
Nur sitzend ruht er, legt sich nicht:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
857
Er findet bald was er bedarf:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
858
Zufrieden weilt er, froh und frei:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
859
Alleinig west er, ungestört:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
860
Die Menschen flieht er, flieht die Welt:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
861
Er dauert stark und standhaft aus:
Mit Bettelresten billig reich
Übt selig Schauung, ohne Sucht,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
862
Die Schüssel, hundert Unzen schwer,
Aus Gold getrieben, ellenbreit,
Gab hin ich um den irdnen Topf,
Gewann die zweite Weihe da.
 
863
Auf hohem Walle, hoher Burg,
Im Turmgemache, mauerfest,
Beschützt von Schwert und Elefant,
Verzagt ich einst in banger Angst.
 
864
Und heute lebt er unverzagt,
Von Angst entängstet, furchterlöst,
Übt selig Schauung, waldgewohnt,
Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.
 
865
Gegründet in der Ordenszucht,
Gezeugt in weiser Wissenschaft,
Erzogen endlich ist das Ziel:
Denn alle Bande sind zersprengt.
 

Angulimālo

ANGULIMĀLO:
866
Du wandelst, Bruder, wähnst dich aber stetig,
Und mich, der stetig ist, mich wähnst du wandelnd;
Ich frage dich, o Bruder, gib mir Kunde:
Wie bist du stetig denn, wie bin ich unstet?
 
DER HERR:
867
Beständig immerdar, Angulimālo,
Bin ich, der keinem Wesen Leides antut:
Doch du hast wild gewütet gegen Wesen:
So bin ich stetig denn, so bist du unstet.
 
ANGULIMĀLO
868
Schon lang ist's her, als einst der hohe Meister,
Der Mönch erschienen mir in Waldes Mitte
Da rief ich aus: "Entsagen tausend Sünden
Will ich um eines Wortes deiner Wahrheit!"

869
Ein Räuber war ich, ja, war Mord und Marter,
War grausam, gräßlich wie die Höllengründe:
Zu Füßen lag der Räuber dem Willkommnen,
Den Auferwachten fleht' er an um Weihe.
 
870
Und Er, der auferwacht ist, mild und heilig,
Der Herr der Welt mit allen ihren Göttern,
"So komm', o Jünger!", sprach zu mir der Meister,
Nahm also auf mich in den Jüngerorden.

871
Wer früher törig sorglos war,
Doch endlich seine Schuld erkennt,
Der leuchtet durch die finstre Welt
Gleichwie der Mond aus Wolkennacht.
 
872
Wer einst begangne böse Tat
In wahrer Buße tief bereut,
Der leuchtet durch die finstre Welt
Gleichwie der Mond aus Wolkennacht.
 
873
Wer noch in holder Jugend Kraft
Als Jünger hier dem Sieger folgt,
Der leuchtet durch die finstre Welt
Gleichwie der Mond aus Wolkennacht.
 
874
Die Lüfte sollen lauschen meinem Sange
Und lieblich wehen um den Auferwachten,
Die Lüfte sollen grüßen mir die Menschen,
Die Großen, die sich nach der Wahrheit sehnen.
 
875
Den Lüften tu' mein Lied ich kund,
Das Lob der Liebe, der Geduld:
O wehet nieder, neigt euch her
Und tragt die Wahrheit weiter dann!
 
876
O sei mir jeder wohlgesinnt
Und allem andern was er sieht:
Den höchsten Frieden findet froh
Wer schützt was atmet, schützt was lebt.
 
877
Kanäle schlichten Bauern durch das Feld,
Die Bogner schlichten spitze Pfeile zu,
Die Zimmrer schlichten schlanke Balken ab,
Sich selber, wahrlich, machen Weise schlicht.
 
878
Geschlichtet wird gar mancher Streit
Mit Stock und Stachel, Peitsche, Strick:
Doch ohne Stock, doch ohne Stahl
Hat mich der Meister schlicht gemacht.
 
879
Einst hat man Friedrich mich genannt,
Und Friedensmörder war ich nur:
Den echten Namen führ' ich heut,
Genesen froh als Friedenswalt.
 
880
Berüchtigt war das Räuberhaupt,
Angulimālo war der Mord:
Da brach der Strom die Bresche durch
Und trieb mich hin zum wachen Herrn!
 
881
Mit Blut befleckt' ich meine Hand,
Angulimālo war der Mord:
Gerettet sieh' mich rasten hier,
Die Daseinsader ist verdarrt.
 
882
Der solche Taten ich getan,
Von Unheil schwer, von Unheil schwül,
Genieße reichlich reifen Lohn,
Entsündigt nehm' ich Nahrung ein.
 
883
Dem leichten Sinn ergeben sich
Erlahmte Männer, ohne Mut;
Den Ernst bewahrt der weise Mann
Als köstlich besten Schatzeshort.
 
884
Ergebt euch nicht dem leichten Sinn,
O folget nicht der Liebeslust!
Der ernst in sich gekehrte Mönch
Ist höchstem Heile selig nah.
 
885
Gefunden hab' ich's, nicht verfehlt,
Kein übel Ding bedünkt es mich,
Von allem was die Welt gewährt
Hab' ich das Beste auserwählt.
 
886
Gefunden hab' ich's, nicht verfehlt.
Kein übel Ding bedünkt es mich,
Drei Wissenschaften kenn' ich gut,
Erfüllt ist was der Meister will.
 
887
Im dunkeln Wald, in heller Au,
In Bergesgrüften, tief im Fels,
Da weilt' ich oft, da weilt' ich gern,
Da ging das Herz mir innig auf.
 
888
Im Glücke ruh' ich, steh' im Glück,
Im Glücke läuft mein Leben ab,
Die Todesfessel faßt mich nicht
Welch Mitleid hat der Meisterherr!
 
889
Brāhmanenknabe war ich einst,
Der echten Eltern echter Sproß:
Der Sohn des Seligen bin ich heut,
Der Wahrheit Erbe, Wahrheit Kind.
 
890
Vom Dürsten heil, vom Hangen heil,
Die Sinne sinnig, wohl gewahrt,
Hab' aus das Übel ich gespien
Mit seiner Wurzel, wahnversiegt.
 
891
Gedient hab' ich dem Meisterherrn,
Gewirkt hab' ich des Wachen Werk:
Die schwere Last ist abgelegt,
Die Daseinsader ausgedarrt.
 

Anuruddho

892
VERLASSEN hab' ich Haus und Hof
Und Eltern, Brüder, Schwestern hold,
Verlassen laue Liebeslust,
Und übe Schauung, selbstvertieft.
 
893
Bereit war Tanz, bereit Gesang,
Und Zimbelklang erweckte mich:
Da fand ich keine Lauterkeit,
Das Todesreich war mein Bereich.
 
894
Jetzt ist es überwunden, ja,
Und mein Bereich des Wachen Reich,
Entronnen bin ich allem Wahn
Und übe Schauung, selbstvertieft.
 
895
Gestalten, Töne, Duft, Geschmack
Und Tastung, alles was ergetzt
Hab' überwältigt ich gewandt
Und übe Schauung, selbstvertieft.
 
896
Vom Bettelmahle kehrt der Mönch,
Er geht allein, er geht für sich,
Er liest sich Fetzen auf am Weg
Als Kuttengut, erlöst von Gier.
 
897
Er sichtet sie, er stückt und steppt,
Er wäscht sie, färbt sie, trägt sie dann
Als Fetzenkutte, wohl bedacht,
Von Gier erlöst, von Wahn erlöst.

898
"Wer vieles will und viel begehrt,
Der Welt sich widmet, eitel ist,
Der eignet arge Art sich an,
Sinkt ein in Unrat, ein in Kot.

899
"Doch wer geklärt ist, wenig will,
Gar bald zufrieden, unverstört,
Allein beseligt, säldenreich,
Beständig standhaft, rüstig ernst,
 
900
"Der eignet edle Art sich an,
Erwachung wirkt er eilig aus,
Ist wahnversiegt, ist wahnerlöst":
So sprach der Meister, sprach der Herr.

* 901
Und meinen Sinn ersah der Herr,
Der höchste Meister überall,
Im Geiste kam er körperhaft,
Magiegewaltig, her zu mir.
 
902
Und nah und näher neigt' ich mich,
Und mehr und mehr erschloß er mir:
Der Wache, der die Einfalt will,
Erschloß die Einfalt meinem Sinn.
 
903
Und seine Kunde ging mir auf,
Und seine Art ersah ich froh;
Drei Wissenschaften schuf ich mir,
Des Wachen Botschaft war erfüllt.
 
904
Durch fünfundfünfzig Jahre jetzt
Genoß ich Ruhe sitzend nur,
Und fünfundzwanzig merkt' ich mir
Seit Müdigkeit bezwungen ist.
 
905
Kein Atem zog mehr ein und aus:
Vollendet, innig still gestaut,
Unregbar, friedsam eingekehrt,
Erlosch der Seher wahnversiegt.
 
906
Der ungebrochen, ungebeugt
Die Todesqual erduldet hat:
Gleichwie die Lampe sanft erlischt,
Hat sanft sein Geist sich aufgelöst.
 
907
Die letzten Spuren spürt er noch,
Und Sinn um Sinn verzieht sich nun,
Und nichts erneut sich, nimmermehr:
Der auferwacht ist ist erlöst.
 
908
Und nimmer gibt es Wiederkehr,
Kein Gott umgarnt, kein Himmel hemmt,
Der Lebensbronnen ist verbraucht,
Und nimmer gibt es Wiedersein.
 
909
Wer queck wie Blitzes Blick das Weltall tausendfach
Vor Augen hat - ist Brahma'n ähnlich;
Doch wer magiegewaltig wach die Götterpracht
Entstehen und sterben sieht - ist heilig.
 
910
Als Speisenträger trabt' ich einst,
Las Überbleibsel spärlich auf:
Erschöpft erschien ein Büßer da,
Dem hehren bot ich Nahrung an.
 
911
Als Sakkersprößling sproßt ich dann,
War Anuruddho, hoch gerühmt,
Bestellt war Tanz, bestellt Gesang,
Und Zimbelklang erweckte mich.
 
912
Da sah ich den erwachten Herrn,
Den Meister, der kein Fürchten kennt,
Und Ihm ergab ich ganz mein Sinn:
Als Pilger zog ich bettelnd fort.
 
913
Vergangnes Wesen kenn' ich nun,
Und was ich war und wo ich war,
Der Götter König war ich einst,
Der Dreiunddreißig Götter Fürst.
 
914
Ein Kaiser war ich siebenmal,
Ein Erdenkönig, Menschenfürst,
Ein Sieger bis zur Mark der See,
Ein Herrscher über Hinduland:
Und ohne Stock und ohne Stahl,
Verständig hab' ich recht regiert.
 
915
Und sieben dann und sieben dann,
Und vierzehn Leben liefen ab:
Da war ich wieder anderswo,
In Götterkreisen kreist' ich auf.
 
916
In erster Schauung selbstvertieft,
In unbeschwerter Innigkeit,
In hehres Schweigen eingehüllt
Ging himmlisch auf das Auge mir.
 
917
Das Leben kenn' ich, kenn' den Tod,
Der Wesen Kommen, Wesen Gehn,
So dieses Sein wie jenes Sein,
In erster Schauung selbstvertieft.
 
918
Gedient hab' ich dem Meisterherrn,
Gewirkt hab' ich des Wachen Werk:
Die schwere Last ist abgelegt,
Die Daseinsader ausgedarrt.
 
919
Bei Riedenstädt im Vajjireich,
Da will ich warten meiner Zeit,
Verborgen wo der Bambus blüht
Im Busch erlöschen, wahnversiegt.
 

Pārāpariyo (III)

920
IM weiten Walde, blütenhell,
Da saß ein Jünger, sann für sich;
Allein verloren, abgelöst,
Ging schauend ein Gesicht ihm auf:
 
921
Wie anders hielt sich, als der Herr,
Der höchste Meister aller Welt,
Am Leben war, die Jüngerschaft:
Wie anders hält sie heute sich!
 
922
Vor Kälte Schutz, vor Winden Schutz,
Ein Mantel für die Körperscham,
Ein Mahl der Notdurft war genug:
Zufrieden war man überall.
 
923
Und schlechte Kost und gute Kost,
Ob viel es nun, ob wenig nur:
Zur Fristung einzig aßen sie,
Unleckerhaft und unverlockt.
 
924
Was rüstig man zum Leben braucht,
Und was man braucht in kranker Brest,
Darauf war keiner baß erpicht,
Der Wahnerlöschung nahe bei.
 
925
In Wald und Forst, in Hain und Hag,
In Bergeshöhle, Felsengruft
Erkürten kühn sie Einsamkeit,
Ergeben ihrer Gunst allein.
 
926
In Demut licht, in Demut leicht,
In Demut wandelnd mild bedacht,
Beschwichtigt, ohne Worteschwall:
So hingen sie dem Heile nach.
 
927
Wohl aufgeklärt, wohl abgeklärt
War all ihr Dichten, all ihr Tun,
Dem ausgepreßten Öle gleich
Lief ab ihr Leben glatt und glau.
 
928
Die alles Wähnen ausgewähnt,
In tiefer Schauung tiefbeglückt:
Erloschen sind sie, sind entlebt,
Gar selten sieht man solche noch.
 
929
Weil nun was echt ist untergeht,
Weil nun die Weisheit nicht mehr wirkt,
Versinkt ein allerhöchster Hort,
Der Siegerorden sinkt hinab!
 
930
Und üble Zeiten ziehen auf,
Begierde zwängt, Begierde zwingt,
Befehlen will Zerfahrenheit,
Und Aftertugend gilt als echt.
 
931
Die Gier ersteht, die Gier erstarkt,
Die Gier verstört gar manchen Mann:
Ein Spielball ist er, ihr zum Spott,
Sie neckt ihn, narrt ihn koboldgleich.
 
932
Begierde herrscht, Begierde heischt,
Sie treibt ihn hin, sie treibt ihn her:
Er ist gewarnt - sie faßt ihn doch,
Die Falle, die von selber fängt.
 
933
Verworfen wird das wahre Wort
Und eigne Willkür eingesetzt,
Und rohe Lehren locken an,
"Das ist das Rechte!" ruft man laut.
 
934
Wer einst verleugnet Weib und Kind
Und Haus und Hof verlassen hat:
Ein Löffel Reis bewegt ihn jetzt,
Macht ihn bereit zu bösem Werk!
 
935
Man ißt soviel man essen will,
Man rekelt sich am Rücken hin,
Man läßt Gespräche munter zu,
Gespräche, die der Meister mied.
 
936
Und jedes Handwerk, jede Kunst
Betreibt mit Eifer man und Ernst:
Unheilig in der eignen Haut
Wird allgemeines Wohl gewählt.
 
937
Und Lehm und Erde, Kalk und Öl
Und Wassertrunk und Speiserest:
Die Mönche bieten's an dem Volk,
Erhoffen reiche Gegengift:
 
938
Als Bürsten für das Zahngebiß,
Als Blütenblätter zum Zerkaun,
Als Bettelsuppen, reichlich, gut,
Als süße Früchte, frisch gepflückt.
 
939
Sie sammeln Kräuter wie der Arzt,
Geschäftig sind wie Bürger sie,
Sie putzen sich wie Huren auf,
Sie herrschen uns wie Fürsten an.
 
940
Verschlagen, listig, gleisnerisch,
Verlogen, ohne Redlichkeit,
Verschaffen sie verbotnes Gut
Auf manche Art sich, unverschämt.
 
941
Sie kennen Kniffe, treiben Trug,
Und Absicht leitet jeden Tritt,
"Zur Lebensfristung!" heucheln sie
Und häufen Güter an und Geld.
 
942
Dem Volke murmeln sie was vor
Vom Meisterworte, nur zum Schein:
Sie lehren Wahrheit um Gewinn,
Doch keine Wahrheit kümmert sie.
 
943
Sie streiten sich um Ordensgut
Und sind doch Ordensfremde nur,
Von fremdem Gute leben sie,
Die Frechen kennen keine Scham.
 
944
Manch einer sondert sich vom Schwarm,
Trägt rauhe Kutte, schert sich kahl:
Doch Ehre geizt er, giert nach Ruhm,
Und Menschengunst ergetzt ihn schon.
 
945
In solcher Drangsal, solcher Not,
Da hält es heute wahrlich schwer,
Daß man erfasse was noch fehlt,
Daß man behüte was man hat.
 
946
Als ob er barfuß, ohne Schuh,
Durch Dornendickicht ginge sacht:
So soll der Weise vor sich sehn
Beim Bettelgange durch das Dorf.
 
947
Wer jener echten Jünger denkt,
Die einst gelebt, und ihrer Zucht:
Und sei die Zeit auch noch so arg,
Erfassen mag er höchstes Heil.
 
948
So sprach im Walde, selbstvertieft,
Mit heitern Sinnen, ein Asket:
Und heilig losch der Hehre hin,
Erlöst von Wahn und Wiedersein.


  Oben