KOMMENTAR zum Satipatthāna-Sutta

V. Die Betrachtung der Geistsobjekte

Nachdem so der Erhabene die Vergewärtigung der Achtsamkeit durch die sechzehnfache Geist-Betrachtung dargelegt hat, beginnt er nun, mit den Worten "Wie nun, o Mönche" von der fünfteiligen Geistobjekt Betrachtung zu sprechen.

In der Körper-Betrachtung wird vom Erhabenen lediglich die ,Erfassung des Körperlichen' (rūpa-pariggaha) behandelt, in der Gefühls und Geist-Betrachtung lediglich die ,Erfassung des Geistigen'. Hier nun, in der Betrachtung der Geistobjekte, wird Körperliches und Geistiges zusammen besprochen, nämlich in den Abschnitten von den Daseinsgruppen (khandha), den Sinnengrundlagen und in der Wahrheit vom Leiden. In der Körper-Betrachtung wird die Erfassung der Gruppe ,Körperlichkeit' gelehrt; in der Gefühls-Betrachtung die Erfassung der Gruppe ,Gefühl'; in der Geist-Betrachtung die Erfassung der Gruppe ,Bewußtsein'; hier nun, in der Betrachtung der Geistobjekte, wird die Erfassung der Gruppen ,Wahrnehmung' und ,Gestaltungen' behandelt.

 


A. Die fünf Hemmungen

Warum werden in der Geistobjekt-Betrachtung zuerst die ,Hemmungen' angeführt? Wegen einer entsprechenden Veranlagung der in dieser Satipatthāna-Methode zu unterweisenden Hörer, die, unter den verschiedenen aufzugebenden Dingen, zuerst in der Überwindung der fünf Hemmungen zu unterrichten waren. (Die Überwindung der Hemmungen ist nämlich die Vorbedingung für die durch die Vertiefung zu erreichende Geistesruhe [samatha]). Aus demselben Grunde geht auch bei Darstellung der Körper-Betrachtung eine Übung der Geistesruhe voran (nämlich die zur Vollen Sammlung führende Atmungs-Achtsamkeit; s. S 188). Dementsprechend folgt auch hier erst (nach der Vorbereitung der Geistesruhe dienenden Behandlung der Hemmungen) die weitere Darlegung der Geistobjekt-Betrachtung nach all ihren Einteilungen in die zu durchschauenden (pariññeyya) Daseinsgruppen und Sinnengrundlagen, in die zu entfaltenden (bhāvetabba) Erleuchtungsglieder usw. Daher ist auch hier, bei der Geistobjekt-Betrachtung, die Entfaltung der Geistesruhe eben bloß zum Zwecke des Klarblicks (vipassanā) erwünscht. In der Satipatthāna-Darlegung ist nämlich der Klarblick das Wichtigste und Vorwiegende. Die Darstellung bedient sich daher hier einer Einteilung, welche der Einstellung auf den Klarblick (vipassanābhinivesa) dient. Um dies deutlich zu machen, heißt es im vorhergehenden Kommentar-Abschnitt: "In der Körper-Betrachtung wird lediglich die Erfassung des Körperlichen behandelt."

Die in den Kommentaren und dem "Visuddhi-Magga" überlieferten Übungsstufen der Klarblick-Meditation beginnen nämlich sämtlich mit ,Erfassung des Körperlichen'. Siehe S. 130.

 


1. Sinnen-Verlangen

Wenn in ihm Sinnen-Verlangen da ist, d.h. wenn es sich in der Weise wiederholten Auftretens vorfindet.

"Sinnen-Verlangen" (kāmacchanda) ist das Begehren nach den fünf Sinnenobjekten (kāmaguna), d.i. nach angenehmen Formen, Tönen, Gerüchen, Geschmäcken und Berührungen.

Da es kein gemeinsames Auftreten von guten und schlechten Eigenschaften gibt, ist zur Zeit des (in dieser Übung unternommenen und eine heilsame Funktion darstellenden) Erkennens des betreffenden Geisteszustandes (s. Textworte: "er weiß"), Sinnen-Verlangen usw. nicht vorhanden. Daher werden die Worte "wenn ... da ist" vom Kommentar als ein "wiederholtes Auftreten" (im Verlauf der Übung) erklärt.

 

Wenn in ihm kein Sinnen-Verlangen da ist, d.h. wenn es sich in ihm nicht findet, weil es entweder nicht aufgetreten ist oder aufgehoben wurde.

 

Wie es zur Entstehung unentstandenen Sinnen-Verlangens kommt, das auch weiß er. D.h. er kennt die Ursache, aus der es zur Entstehung von Sinnen-Verlangen kommt.

Zur Entstehung von Sinnen-Verlangen kommt es durch unweise Betrachtung einer Vorstellung des Schönen (subha-nimitta). Eine ,Vorstellung des Schönen' ist das gleiche wie das ,Schöne' (subham) oder wie ,das schöne Objekt' (subh'ārammanam).

Das ,Schöne ist auch das Sinnen-Verlangen selber. Denn die Sinnlichkeit hält sich selber für etwas Schönes und wird so zum Objekt für einen anderen Sinnlichkeits-Moment.

"Unweise Betrachtung" (ayoniso manasikāra) ist eine Betrachtung in unzweckmäßiger Weise, eine abwegige Betrachtung; nämlich die Betrachtung des Unbeständigen als beständig, des Leidvollen als Glück, des Ichlosen als Ich, des Unschönen oder Unreinen als schön oder rein (subha).

Die unweise Betrachtung ist nämlich "unzweckmäßig" für die Erlangung des erhofften Glückes.

Wenn solche Betrachtung häufig vorgenommen wird, entsteht Sinnen-Verlangen. Daher sagte der Erhabene: "Es gibt da, ihr Mönche, die Vorstellung des Schönen. Eine solche unweisen Geistes häufig betrachten, das ist die Nahrung für unentstandenen Sinnen-Verlangens Entstehung, für entstandenen Sinnen-Verlangens Mehrung und Stärkung." (Samyutta-Nikāya 46, 51).

 

Wie es zum Aufgeben entstandenen Sinnen-Verlangens kommt. Zum Aufgeben des Sinnen-Verlangens kommt es durch weise Betrachtung einer Vorstellung des Unreinen (asubha-nimitta) Eine ,Vorstellung des Unreinen' ist das gleiche wie das ,Unreine' selber oder wie ,das unreine Objekt'.

"Weise Betrachtung" (yoniso manasikāra) ist eine Betrachtung in zweckmäßiger Weise; eine Betrachtung, die auf dem rechten Wege ist, nämlich die Betrachtung des Unbeständigen als unbeständig, des Leidvollen als leidvoll, des Ichlosen als ichlos, des Unreinen als unrein. Wenn solche Betrachtung häufig vorgenommen wird, schwindet Sinnen-Verlangen. Daher sagte der Erhabene: "Es gibt da, ihr Mönche, die Vorstellung des Unreinen. Eine solche weisen Geistes häufig betrachten, das ist der Nahrungs-Entzug für unentstandenen Sinnen-Verlangens Entstehung und entstandenen Sinnen-Verlangens Mehrung und Stärkung."

"Das Unreine" (asubha) ist die auf Grund der Meditation des Unreinen gewonnene Vertiefung (asubha-jhāna). Diese Meditation hat als Objekt die zehnfache Unreinheit eines leblosen Körpers oder die Unreinheit eines lebenden, nämlich die Kopfhaare, Körperhaare usw. Die letztgenannte Betrachtung wird nämlich im Girimānanda-Sutta (Anguttara-Nikāya X, 60) als das "Gewahrwerden des Unreinen" (asubha-sañña) bezeichnet. (Die zehnfache Unreinheit des leblosen Körpers, nämlich als aufgedunsener Körper usw., wird im Visuddhi-Magga, Teil VI, behandelt.)

 

Sechs Dinge führen zum Aufgeben des Sinnen-Verlangens:

1. Das Aufnehmen der ,Vorstellung des Unreinen' (asubhanimittassa uggaho),

2. die Hingabe an die Meditation des Unreinen (asubbabhāvanānuyogo),

3. Bewachung der Sinnenpforten,

4. Maßhalten beim Essen,

5. edle Freundschaft,

6. geeignetes Gespräch.

1. Sinnen-Verlangen schwindet somit für einen, der die zehnfache ,Vorstellung des Unreinen' aufnimmt. D.h. beim Erfassen (ugganhana) der widerwärtigen Beschaffenheit jener unreinen Objekte; oder bei einer derartigen Betätigung dieser Betrachtung daß dabei das "Aufgefaßte geistige Bild" (uggaha, -nimitta) des betreffenden unreinen Objektes aufsteigt;

2. für einen, der sich dieser Meditation hingibt, d.h. in der Angrenzenden oder Vollen Sammlung;

3. für einen, der die Pforten der Sinne geschlossen hält;

4. für einen, der beim Essen Maß zu halten weiß; der, selbst wenn er noch vier oder fünf Bissen essen könnte, das Mahl beendet und, nachdem er Wasser getrunken, sich damit begnügt; hierzu heißt es:

"Vier Bissen oder fünf, die er noch essen könnte,
Er ißt sie nicht, trinkt Wasser und beschließt das Mahl.
Zum Wohlsein wahrlich ist's genug
Für einen ernst entschlossenen Mönch."

            (Theragatha v. 983).

 

Die alten Lehrer sagen, daß bei bemessener Nahrungsaufnahme, wegen des Freiseins von ,Stumpfheit und Müdigkeit, das Sinnen-Verlangen keinen Einlaß enthält und schwindet. Lediglich dieser Sinn kommt in der vorstehenden Erklärung des Kommentars zum Ausdruck. Wer aber in rechter Weise und völlig dies erkennt, nämlich: die Widerlichkeit der Speise; das außerordentlich Abstoßende ihrer Umsetzung (in Exkremente), ihres Behälters (Magen und Eingeweide) und ihrer Erforderlichkeit; sowie die Tatsache, daß der Körper auf der Nahrungsaufnahme beruht, - wer dies erkennt, der gilt in vollem Umfang als einer, der "beim Essen das Maß kennt" (bhojane mattaññū), weil er nämlich an das Essen den richtigen Maßstab anzulegen weiß.

5. schwindet Sinnen-Verlangen durch Umgang mit edlen Freunden, welche die Meditation des Unreinen schätzen, wie der Ordensältere Tissa.

Gemeint ist der die Meditation des Unreinen ausübende Ordensältere Mahā-Tissa (aus Anurādhapura in Ceylon). Von ihm wird erzählt, daß er die Heiligkeit erreichte, als er die Zähne eines lachenden Weibes sah und daraus die Vorstellung der Unreinheit gewann (s. Visuddhi-Magga, Bd. I, S. 33).

6. durch ein geeignetes, auf die zehn Vorstellungen des Unreinen bezügliches Gespräch (das man bei allen passenden Gelegenheiten führen mag ) beim Stehen, Sitzen usw.

In diesem Sinne heißt es, daß sechs Dinge zum Aufgeben des Sinnen-Verlangens führen.

 

Wie es künftig nicht mehr zum Entstehen des aufgegebenen Sinnen-Verlangens kommt. "Des aufgegebenen" (pahīnassa), d.h. des (vorher bloß zeitweise) durch Zurückdrängung (vikkhambhana-pahāna) aufgegebenen Sinnen-Verlangens. Die gleiche Erklärung gilt für die entsprechende Textstelle bei den anderen ,Hemmungen'.

Er weiß, daß es auf dem Heiligkeits-Pfade (arahatta-magga) nicht mehr zu einem künftigen Entstehen des durch jene sechs Dinge aufgegebenen Sinnen-Verlangens kommt.

(Trotzdem die Fessel ,Sinnenlust' (kāmarāga-samyojana) bereits auf der Stufe des Nicht-Wiederkehrers (anāgāmī) völlig aufgehoben ist) heißt es hier, daß die Hemmung ,Sinnen-Verlangen' (kāmacchanda-nīvarana) (erst) durch den Heiligkeits-Pfad künftig nicht mehr entsteht. Nach der Abhidhamma-Methode ist nämlich in der Hemmung ,Sinnen-Verlangen' die gesamte Gier (lobha) in allen ihren Formen einbegriffen (und diese schwindet, in Form des Verlangens nach den feinkörperlichen und unkörperlichen Welten, erst mit erreichter Heiligkeit).

 


2. Haß

Zur Entstehung von Hass kommt es durch unweise Betrachtung einer Abneigungs-Vorstellung (patigha-nimitta). Eine Abneigungs-Vorstellung ist das gleiche wie ,Abneigung' oder ,Objekt der Abneigung'. Der bloße Begriff ,Abneigung' mag hierbei aufgefaßt werden als eine früher entstandene Abneigungs-Vorstellung, welche zur Ursache für eine später aufsteigende Abneigung wird.

"Unweise Betrachtung" hat überall die gleiche Beschaffenheit, wie vorher (s. S. 203) erklärt. Wenn nun solche unweise Betrachtung bei einer derartigen Vorstellung der Abneigung häufig vorgenommen wird, so entsteht Haß. Daher heißt es: "Es gibt da, ihr Mönche, die Abneigungs-Vorstellung. Eine solche unweisen Geistes häufig betrachten, das ist die Nahrung für unentstandenen Hasses Entstehung und für entstandenen Hasses Mehrung und Stärkung."

Doch durch weise Betrachtung der "Gemütserlösung durch Güte" (mettā-cetovimutti) kommt es zum Aufgeben des Hasses. Wenn in diesem Zusammenhang von "Güte" gesprochen wird, so bezieht es sich auf die (durch die Meditation der Güte) erreichte Volle oder Angrenzende Sammlung; mit der Bezeichnung "Gemütserlösung" ist jedoch lediglich die Volle Sammlung gemeint. Wenn diese weise Betrachtung der "Gemütserlösung durch Güte" häufig vorgenommen wird, so schwindet Haß. Daher heißt es: "Es gibt da, ihr Mönche, die Gemütserlösung durch Güte. Diese weisen Geistes häufig betrachten, das ist der Nahrungs-Entzug für unentstandenen Hasses Entstehung und entstandenen Hasses Mehrung und Stärkung."

Sechs Dinge führen zum Aufgeben des Hasses:

1. das Aufnehmen des Gedankens (wtl.: der Vorstellung) der Güte,

2. die Entfaltung der Meditation der Güte,

3. das Bedenken der Tatsache, daß die Wesen Eigner ihres Wirkens (kamma)

sind,

4. regelmäßiges Nachdenken darüber,

5. edle Freundschaft,

6. geeignetes Gespräch.

 

Haß schwindet also

1. wenn man den Gedanken der Güte in einer dieser beiden Weisen aufnimmt: mit und ohne Begrenzung (auf bestimmte Personen oder Personengruppen), sowie als Durchdringung der Himmelsrichtungen.

Das "Auffassen des Gedankens der Güte" ist das Hervorbringen, das Erzeugen dieser Vorstellung der Güte durch einen, der zu den Wesen Güte empfindet und sie in sein Wohlwollen einbezieht. Dieses Stadium des ,Auffassens' geht bis zum Auftreten der Angrenzenden Sammlung.

"Mit Begrenzung." - Die begrenzte Durchdringung mit Güte hat man in folgender Reihenfolge vorzunehmen: zuerst richte man sie auf sich selber, dann auf sehr geliebte oder nahe befreundete Menschen (Eltern, Lehrer, Freunde), dann auf gleichgültige Menschen und schließlich auf Feinde. Zu Beginn möge man jedoch nicht als Objekte wählen: unsympathische, sehr liebe, indifferente oder feindselige Menschen; gänzlich auszuschließen sind: bestimmte Personen des anderen Geschlechts und Verstorbene.

"Ohne Begrenzung." - Die unbegrenzte Durchdringung ist die Durchbrechung der vorher gezogenen Beschränkung (sīmabheda) auf bestimmte Personen und die Ausdehnung gleichmäßiger Güte auf alle Wesen ohne Ausnahme.

Die "Durchdringung der Richtungen" ist das Erstrecken des Gedankens der Güte auf eine Himmelsrichtung nach der anderen. Auch diese Richtungs-Durchdringung kann ,begrenzt' sein auf Wohnhaus, Straße, Ortschaft usw. oder ,unbegrenzt' nach (östlicher Richtung usw., ohne jede Beschränkung.

Einzelheiten hierüber enthält der 9. Teil des Visuddhi-Magga.

 

2. schwindet Haß, wenn man die Güte nach den obigen drei Methoden meditativ entfaltet.

Die ,Entfaltung; (bhāvanā) ist die wiederholte Übung des wie oben ,aufgefaßten' Gedankens der Güte (in der Angrenzenden Sammlung oder in den ersten drei Vertiefungen der Vollen Sammlung).

3. wenn man, etwa in folgender Weise, bedenkt, daß die Wesen Eigner ihres Wirkens sind: "Was kannst du jenem Menschen anhaben, wenn du ihm zürnst oder ihn haßt? Kannst du denn dadurch seine Tugend oder seine anderen guten Eigenschaften vernichten? Bist du nicht auf Grund deines eigenen Wirkens gekommen (d.h. hier geboren worden) und wirst du nicht auf Grund deines eigenen Wirkens von hier gehen (d.h. wiedergeboren werden)? Zorn auf einen Anderen ist ebenso, wie wenn man mit bloßen Händen glühende Kohlen ergreift, einen erhitzten Eisenstab oder Kot, um einen anderen damit zu treffen. Und ebenso ist es, wenn der andere dir zürnt. Was kann er dir anhaben? Kann er deine Tugend und deine anderen guten Eigenschaften vernichten? Auf Grund seines eigenen Wirkens ist er gekommen und auf Grund seines eigenen Wirkens wird er von hier gehen. Wie ein nicht angenommenes Geschenk, wie eine gegen den Wind geworfene Handvoll Schmutz, so wird dieser Zorn eben auf sein eigenes Haupt zurückfallen."

4. wenn man dies bedacht hat, daß beide, man selber und der andere, Eigner des Wirkens sind und regelmäßig nachdenkt über das Unheil des Hasses und den Segen der Güte;

5. wenn man mit edlen Freunden Umgang pflegt, welche die Meditation der Güte schätzen, wie der Ordensältere Assagutta;

6. durch geeignetes auf die Güte bezügliches Gespräch (das man bei allen passenden Gelegenheiten führen mag:) beim Stehen, Sitzen usw.

 

In diesem Sinne heißt es, daß sechs Dinge zum Aufgeben des Hasses führen.

Ferner weiß man, daß es auf dem Pfade der Nichtwiederkehr (anāgāmī-magga) nicht mehr zu einem künftigen Entstehen des durch jene sechs Dinge aufgegebenen Hasses kommt.

 

 


3. Starrheit und Müdigkeit

Zur Entstehung von Starrheit und Müdigkeit kommt es, wenn man sich unweisen Geistes einem Unlust-Gefühl hingibt, dem faulen Ausrecken des Körpers, der Schlaffheit nach dem Mahle oder geistiger Trägheit. "Unlust" bedeutet Unzufriedenheit; "Faulheit" ist körperliche Trägheit; "Ausrecken" ist das Dehnen des Körpers; "Schlaffheit nach dem Mahle" ist die durch das Mahl entstandene Benommenheit und Erhitzung; "geistige Trägheit" ist der träge Zustand des Geistes.

Wenn man aber das Element des Sichaufraffens, der Anstrengung und des beharrlichen Weiterstrebens weise betrachtet, dann schwindet Starrheit und Müdigkeit. Das Element des Sichaufraffens (ārambha-dhātu) ist die anfängliche Willenskraft; das Element der Anstrengung (nikkama-dhātu) ist die stärkere Willenskraft, weil sie sich nämlich von der Trägheit entfernt; das Element des beharrlichen Weiterstrebens (parakkama-dhātu) ist die noch stärkere Willenskraft, weil sie immer weiter fortschreitet. Wenn man diese dreifache Willenskraft häufig weise betrachtet, dann schwindet Starrheit und Müdigkeit.

Sechs Dinge führen zum Aufgeben von Starrheit und Müdigkeit:

1. Zu reichliches Essen als Ursache dafür kennen,

2. Wechseln der Körperstellung,

3. Betrachtung der Vorstellung des Lichtes,

4. Aufenthalt im Freien,

5. edle Freundschaft,

6. geeignetes Gespräch.

 

(Dies ist die Erklärung im Einzelnen:)

1. Wenn man übermäßig gegessen hat, sich dann am Orte seines Tages- oder Nacht-Aufenthaltes niedersetzt, um sein Asketenwerk zu tun, dann wird man von Starrheit und Müdigkeit wie von einem mächtigen Elefanten zu Boden gedrückt. Nicht aber ist es so bei einem Mönch, der sein Mahl vier oder fünf Bissen vor der völligen Sättigung mit einem Schluck Wasser beendet und sich damit begnügt. Wer zu reichliches Essen in solcher Weise als eine Ursache für Starrheit und Müdigkeit kennt, dem schwinden diese;

2. Ferner einem, der eine Körperhaltung ändert, in der ihn Starrheit und Müdigkeit befallen haben;

3. einem, der nachts das Licht des Mondes, einer Lampe oder einer Fackel, tags das Sonnenlicht betrachtet oder der das am Tage aufgenommene Bild des Sonnenlichts sich nachts vergegenwärtigt;

4. einem, der sich im Freien aufhält;

5. der mit edlen Freunden Umgang pflegt, welche, wie der Ordensältere Mahā-Kassapa, Starrheit und Müdigkeit überwunden haben;

6. durch ein geeignetes, auf die strengen Läuterungsübungen (dhūtanga) bezügliches Gespräch.

Als weitere Hilfe für den Übenden seien hier kurz, dem Inhalt nach, jene acht Mittel erwähnt, welche der Buddha dem Ehrw. Mahākaccāyana zur Überwindung der Schläfrigkeit empfahl:

1. Vermeiden desjenigen Gedankens, bei dem die Müdigkeit auftrat;

2. Nachdenken über die Lehre;

3. Auswendiglernen bzw. Rezitieren von Lehrtexten;

4. Schütteln der Ohren und Reiben der Glieder;

5. Aufstehen vom Sitz; die Augen mit Wasser befeuchten und dann nach allen Richtungen in die Ferne und aufwärts zum bestimmten Himmel blicken;

6. Wahrnehmung oder Vergewärtigung des Lichtes;

7. Auf- und Abgehen mit nach innen gekehrten Sinnen, ohne den Geist nach außen schweifen zu lassen;

8. falls die ersten sieben Mittel versagen: klar bewußtes Einschlafen, der Zeit des Aufwachens gedenkend; ohne sich dem Genuß des Liegens und Sichreckens zu überlassen.

(Siehe Anguttara-Nikāya., Achter-Buch, Nr. 58)

Ferner weiß man, daß es auf dem Heiligkeits-Pfade nicht mehr zu künftigem Entstehen der durch jene sechs Dinge aufgegebenen Starrheit und Müdigkeit kommt.

 

 


4. Aufgeregtheit und Gewissensunruhe

Zur Entstehung von Aufgeregtheit und Gewissensunruhe kommt es, wenn man einem Zustande geistiger Unruhe unweise Beachtung schenkt. "Unruhe" ist der Zustand geistiger Ruhelosigkeit, und zwar besteht sie eben in Aufgeregtheit und Gewissensunruhe. Diese beiden werden zusammen genannt, weil Gewissensunruhe (d.h. Reue und Skrupel), bestehend im Bedauern des Getanen oder Unterlassenen, zu geistiger Unruhe führt und daher die gleichen Merkmale wie die Aufgeregtheit hat. Wenn man nun über diesen Zustand der Unruhe falsch nachdenkt, so entstehen Aufgeregtheit und Gewissensunruhe.

Wenn man sich aber weisen Geistes der als "Sammlung" (samādhi) bezeichneten geistigen Ruhe zuwendet, dann schwinden Aufgeregtheit und Gewissensunruhe.

Sechs Dinge führen zum Aufgeben von Aufgeregtheit und Gewissensunruhe:

1. Wissensreichtum,

2. Befragung,

3. (für den Mönch:) Kenntnis der Ordensregeln,

4. Umgang mit Bejahrten,

5. edle Freundschaft,

6. geeignetes Gespräch.

 

(Dies ist die Erklärung im Einzelnen:)

Wer eine, zwei, drei, vier oder fünf Textsammlungen dem Wortlaut und dem Sinne nach gelernt hat, dem schwinden durch seinen Wissensreichtum Aufgeregtheit und Gewissensunruhe; einem, der häufig über Zulässigkeit und Unzulässigkeit (gemäß der Ordensregel) Fragen stellt; der die Kunde der Ordenszucht meistert; der bejahrte und erfahrene Ordensältere aufsucht; der mit solchen edlen Freunden umgeht, welche Kenner der Ordenszucht sind, wie der Ordensältere Upāli; durch ein geeignetes, auf Zulässigkeit und Unzulässigkeit bezügliches Gespräch.

Zu 1. Ein Wissensreicher, der sich mit den Lehrreden und den anderen Teilen des Buddha-Worts häufig beschäftigt, und zwar nicht nur nach dem in den Büchern überlieferten Text, sondern auch ihrer Bedeutung nach, ein solcher wahrhaft "Gebildeter" (bahussuta) hat keine Zerstreutheit, da in ihm Begeisterung für die Lehre und ihr Ziel (atthavedādi) vorhanden ist. Zerstreutheit aber, die eine Form der Aufgeregtheit ist, ist für Hauslose (d.i. Mönche) auch ein häufiger Grund der Gewissensunruhe. Wenn nun jener Wissensreiche seinen Lebenswandel nach der aus seinem Studium gewonnenen Methode einrichtet und die angemessenen Mittel (in Erkenntnis und Lebensführung) anwendet, so hat er keinen Grund mehr, sein Tun und Lassen zu bedauern.

Ferner weiß man, daß von den durch jene sechs Dinge aufgegebenen beiden Hemmungen die Aufgeregtheit auf dem Pfade der Heiligkeit, die Gewissensunruhe auf dem Pfade der Nichtwiederkehr künftig nicht mehr zum Entstehen kommt.

Weil nämlich die Gewissensunruhe mit Mißmut (domanassa) verbunden ist, kommt sie bereits bei Erreichung der Nichtwiederkehr nicht mehr zum Entstehen (Auf der Stufe der Nichtwiederkehr ist nämlich die Fessel der Abneigung [patigha-samyojana] völlig beseitigt, die ein wesentlicher Bestandteil aller mit Mißmut verbundenen Bewußtseinszustände ist).

 

 


5. Zweifel

Zum Entstehen von Zweifel kommt es durch unweise Betrachtung zweifelhafter Dinge. Wenn man aber weisen Geistes die heilsamen und unheilsamen Dinge betrachtet, die tadelnswerten und untadeligen, gemeinen und edlen, die Gegensätze von gut und schlecht, dann kommt Zweifel zum Schwinden.

Sechs Dinge führen zum Aufgeben des Zweifels:

1. Wissensreichtum,

2. Befragung,

3. Kenntnis der Ordensregeln,

4. ein hohes Maß von Vertrauen,

5. edle Freunde,

6. geeignetes Gespräch.

 

(Dies ist die Erklärung im Einzelnen:)

Wer eine, zwei, drei, vier oder fünf Textsammlungen dem Wortlaut und dem Sinne nach gelernt hat, dem schwindet Zweifel; wer über das Dreifache Kleinod (Buddha, Lehre und Gemeinde) Fragen stellt; wer die Kunde der Ordenszucht meistert; wer hinsichtlich des dreifachen Kleinods ein hohes Maß jener Zuversicht hat, die als hingebungsvolles Vertrauen gilt; wer mit edlen Freunden umgeht, die, wie der Ordensältere Vakkali, hingebungsvolles Vertrauen besitzen; durch ein geeignetes, auf die Eigenschaften des Dreifachen Kleinods bezügliches Gespräch.

Ferner weiß man, daß der durch jene sechs Dinge aufgegebene Zweifel auf dem Pfade des Strom-Eintritts künftig nicht mehr zum Entstehen kommt.

 

So weilt er nach innen. Durch Erfassen der fünf Hemmungen weilt er so in Betrachtung der Geistobjekte bei den eigenen Geistobjekten, bei den Geistobjekten eines anderen, zeitweise bei den eigenen Geistobjekten und zeitweise bei denen eines anderen.

 

Die Dinge in ihrem Entstehen betrachtend. Entstehen und Vergehen hat man hier in der im Vorstehenden dargelegten Weise mit Bezug auf die fünf Hemmungen zu verstehen, nämlich: ihr Entstehen durch die unweise Betrachtung einer Vorstellung des Schönen usw., ihr Vergehen durch weise Betrachtung einer Vorstellung des Unreinen usw.

Hierbei nun besteht die ,Wahrheit vom Leiden' in der die fünf Hemmungen erfassenden Achtsamkeit. Das sie erzeugende, vorhergehende Begehren ist die ,Wahrheit von der Leidens-Entstehung'. Das Nicht-Auftreten beider ist die ,Wahrheit von der Leidens-Aufhebung'. Der das Leiden verstehende, den Entstehungs(-Grund) aufgebende, auf die Leidens-Aufhebung gerichtete Heilige Pfad ist die ,Wahrheit von dem zur Leidens-Aufhebung führenden Weg'.

Nachdem der Übende, in dieser Weise der Methode der Vier Heiligen Wahrheiten folgend, eifrig gestrebt hat, wird er die Erlöschung erreichen. Das ist für einen die fünf Hemmungen erfassenden Mönch der bis zur Heiligkeit führende Zugang zur Erlösung.


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